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ILADS Positionspapier


Kritik der Studie zur antibiotischen Behandlung der chronischen Lyme-Borreliose

Stellungnahme der International Lyme and Associated Disease Society (ILADS) zu

Klempner MS, Hu LT, Evans J, Schmid CH, Johnson GM, Trevino RP, Norton D, Levy L, Wall D, McCall J, Kosinski M, Weinstein A
Zwei kontrollierte Studien zur antibiotischen Behandlung von Patienten mit persistierenden Symptomen bei anamnestisch bestätigter Lyme-Borreliose
New England Journal of Medicine 2001 Jul 12; 345 (2):85-92

9. Januar 2002


Einleitung
Die Lyme-Borreliose ist eine multisystemische Erkrankung, die durch eine Infektion mit der Spirochäte Borrelia burgdorferi hervorgerufen wird. Die Lyme-Borreliose ist nach der Stadt Lyme im Bundesstaat Connecticut, wo sie entdeckt wurde, benannt. Seit 1975 ist sie in den USA offiziell anerkannt, doch war sie bereits fast ein Jahrhundert zuvor in Europa entdeckt worden: Man kannte sowohl die anfängliche Hautrötung, das Erythema migrans (EM) als auch die Hautveränderung des Spätstadiums, die Acrodermatitis chronica atrophicans.

Rudolph Scrimenti beschrieb 1970 als erster ein Erythema migrans in den USA, fünf Jahre bevor offiziell die Bezeichnung Lyme-Borreliose (engl.: Lyme disease) eingeführt wurde. Seit der Zeit bestehen heftige Kontroversen bezüglich dieser Erkrankung. Scrimenti stellte eine auffallende Ähnlichkeit zwischen der sich ausbreitenden, ringförmigen Hautrötung am Oberkörper seines Patienten und den Erythema-chronicum-migrans-Rötungen fest, die ihm zum Teil aus den Schriften Sven Hellerstroms bekannt waren.1 Scrimenti veröffentlichte im Juli 1970 in der Fachzeitschrift Archives of Dermatology einen Artikel mit dem Titel Erythema chronicum migrans, in dem er konstatierte, dass diese Hauterscheinung gelegentlich mit gravierenden neurologischen Symptomen einhergehe.2 Somit kann seine Arbeit als die Entdeckung der Lyme-Borreliose in den USA angesehen werden. Ferner vermutete er, dass Spirochäten und/oder Rickettsien die Erkrankung verursachten, die wahrscheinlich von Zecken übertragen würden. Doch sowohl Scrimenti als auch Hellerstrom wurden nicht ernst genommen.

In den Jahren nach 1975, als Polly Murray in der heute weithin bekannten Stadt Lyme im US-Bundesstaat Connecticut eine Epidemie einer multisystemischen Erkrankung entdeckt hatte,3 die sich unter anderem in einer Arthritis äußerte, wurde das Wissen um die chronischen und persistierenden Folgen von Zeckenstichen unter Fachleuten wie Laien Allgemeingut. Zu den überzeugten angesehenen Wissenschaftlern gehörte Allen Steere, der zu Beginn seiner Forschung zu diesem Thema eine Vielzahl von Artikeln über chronische neurologische und arthritische Manifestationen auch nach antibiotischer Behandlung veröffentlichte.4 Im Jahr 1982 wurden von Willy Burgdorfer Spirochäten als Erreger der Lyme-Borreliose erkannt.5 Dies war jedoch erst der Anfang der immensen Aufgabe, die Krankheitsentstehung der Lyme-Borreliose, insbesondere ihrer chronischen Ausprägungen, aufzuklären.

Ein Problem rührt von der Unzuverlässigkeit serologischer Testverfahren. Seronegative Borreliosen sind ein häufiges Thema in der medizinischen Literatur.6-11 Daher überrascht auch nicht, dass die Mehrzahl wiederholt infizierten Rotwilds seronegativ bleibt,12 was Zweifel insbesondere an der Validität gegenwärtig durchgeführter Serologien bei chronischer Infektion mit B. burgdorferi – im Gegensatz zu jenen bei akuter Infektion – aufkommen lässt.

Ebenso wie seronegative Borreliosen gut dokumentiert sind, belegen Studien auch die Infektion des Zentralnervensystems mit B. burgdorferi, obwohl in Liquoranalysen mit routinemäßig ausgeführten Verfahren Antikörper-, Zellzahl- und chemische Parameter negativ ausfielen.7,13 Das Fehlen von Antikörpern gegen B. burgdorferi im Liquor kann nicht den Ausschluss einer Infektion des Zentralnervensystems mit diesem Erreger begründen. Daraus folgt, dass die Diagnose einer Infektion mit B. burgdorferi in erster Linie auf dem klinischen Beschwerdebild beruht, wobei die gegenwärtigen Borrelienserologien, da mit Mängeln behaftet, lediglich eine unterstützende Rolle spielen.

Abgesehen von der schwierigen Diagnose ist es nahezu unmöglich, eine Heilung der Erkrankung zu definieren, und zwar wegen grundsätzlicher Probleme bei der Anzucht des Erregers. Ohne eine einfache Anzuchtmethode gibt es keinen eindeutigen Standardtest, anhand dessen die Wirksamkeit der Behandlung beurteilbar ist. Trotz dieser Unsicherheit vertreten einige Ärzte die Auffassung, dass eine 30-tägige antibiotische Therapie ausreichend ist, um selbst die späten Stadien der Lyme-Borreliose auszuheilen. Demgegenüber belegen Studien an Hunden, dass eine 30-tägige antibiotische Therapie die disseminierte Infektion mit B. burgdorferi nicht ausheilt.14,15 Leider, und keineswegs überraschend, werden auch viele Menschen mit Borreliose im Spätstadium nicht mit einer 30-tägigen Antibiotikatherapie von ihren Beschwerden befreit. Es gibt darüber hinaus zahlreiche begutachtete Artikel zu medizinischen Studien, in denen eine persistierende Infektion mit B. burgdorferi beim Menschen trotz mehrfacher und verlängerter Zyklen einer aggressiven antibiotischen Therapie nachgewiesen wird. Dieser Nachweis wird entweder durch die Polymerase-Kettenreaktion (PCR)16-18 oder eine Histopathologie19 erbracht. Persistierende Infektionen werden bei Borreliosepatienten durch Anzucht von B. burgdorferi20-26 – trotz der bekannten Schwierigkeiten – und selbst bei seronegativen Patienten nachgewiesen. Daher wäre es nicht schlüssig anzunehmen, persistierende Symptome stünden bei solch chronisch kranken Borreliosepatienten nicht in Zusammenhang mit einer aktiven Infektion mit B. burgdorferi. Ironischerweise und in direktem Widerspruch zu der oben genannten Vielzahl an publizierten Daten gingen einige Wissenschaftler dazu über, Patienten mit chronischen Symptomen, die der Diagnose Lyme-Borreliose zuzuordnen waren, vage Alternativdiagnosen, beispielsweise Post-Lyme-Syndrom, Fibromyalgie oder Chronisches Müdigkeitssyndrom, zuzuschreiben.27,28

Der kürzlich erschienene Artikel von Klempner et al.29 entfachte erneut den Diskurs zwischen den verschiedenen medizinischen Fraktionen. Daher begutachtete die International Lyme and Associated Diseases Society (ILADS), eine professionelle Organisation von Ärzten verschiedener Fachrichtungen, diesen Artikel objektiv und unter didaktischen Gesichtspunkten. Dabei wendete sie gängige Standards für eine derartige Arbeit an und berücksichtigte die veröffentlichte medizinische Fachliteratur zur chronischen Lyme-Borreliose und anderen in Zusammenhang stehenden, durch Zecken übertragenen Erkrankungen.


Analyse
Wenn man den genannten Artikel überprüft, wird schnell klar, dass der Aufbau dieser Arbeit mehrere gravierende methodische Mängel aufweist. An erster Stelle muss die Ausgangshypothese der Studie genannt werden: Sie ist angelegt als eine doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studie zur längerfristigen antibiotischen Behandlung von Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose, und zwar sowohl mit seronegativem als auch mit seropositivem Status. Leider werden die Autoren dieser ursprünglichen Absicht nicht gerecht, weil es keinen wissenschaftlichen Beleg für die Annahme gibt, dass Behandlungen mit Ceftriaxon und Doxycyclin einander ergänzen. Die Wirkweise und die Bioverfügbarkeit von Betalaktam- und Tetracyclin-Antibiotika sind grundsätzlich unterschiedlich. Diese Studie ist schlichtweg eine kurzzeitige, d.h. einmonatige Wiederbehandlungsstudie mit Ceftriaxon und widerspricht dem Hauptziel der Arbeit. Bedauerlicherweise kann man nicht einfach davon ausgehen, dass eine zweimonatige Behandlung mit Doxycyclin die vorangehende Ceftriaxontherapie ergänzt, auch die Dosierung von 100 mg Doxycyclin zweimal täglich ist nicht ausreichend, um in das Zentralnervensystem (ZNS) einzudringen.30 Da die Studienpopulation aus Patienten mit neurokognitiven Symptomen bestand, verwundert es, dass die Autoren sich für eine Dosierung entschieden, mit der bekanntlich nur marginale ZNS-Konzentrationen erreicht werden. Darüber hinaus betrug die akzeptierte Compliance 75 %, so dass die Dosis des Doxycyclins bei nur 150 mg gelegen hätte, wodurch die Konzentration im Liquor vollkommen inakzeptabel gewesen wäre. Wir halten dies für ein bedauerliches Versehen, wenn man bedenkt, wie einfach, kostengünstig und gut verträglich die korrekte Dosierung gewesen wäre. Und es hätte eine ausreichend hohe Compliance eingehalten werden müssen.

Die Einschlusskriterien sind ein weiteres Kernproblem der Studie. So wurden beispielsweise für die Studie untersuchte Patienten von der Teilnahme ausgeschlossen, wenn die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) auf Borrelien-DNA positiv ausfiel. Da die Autoren damit genau die Patienten von der Studie ausschlossen, die am wahrscheinlichsten von einer antibiotischen Therapie profitieren würden, stellt dies ein Selektions-Bias dar, und lässt im Wesentlichen die Ergebnisse ungültig werden. Trotz der Tatsache, dass ein negativer PCR-Test ein obligatorisches Kriterium der Studienpopulation ist, wurde dieser negative Ausfall der PCR in der Arbeit als ein Ergebnis dargestellt. Dies könnte den Leser fälschlicherweise glauben lassen, dass dies ein neuartiges Ergebnis der Studie ist, d.h. dass bei Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose keine Reaktion in der PCR nachweisbar ist.

Der Ausschluss von PCR-positiven Patienten wurde von Bransfield et al. in ihrer Korrespondenz mit den Autoren kritisiert.31 Weinstein und Klempner antworteten: „Für diese Studie wurden über 1800 Patienten untersucht. Kein Patient wurde aus dem genannten Grund ausgeschlossen, denn keiner der Patienten hatte eine positive PCR oder eine positive Borrelienkultur. Somit gibt es bei diesem klinischen Syndrom keinen Beleg für eine aktive Infektion.“32 Zwei wichtige Punkte sind den Erklärungen der Autoren zu entnehmen: Dass bei 1800 voruntersuchten Patienten keine einzige positive Borrelien-PCR gefunden wurde, steht in direktem Widerspruch zu der vorliegenden medizinischen Beweislage. Wenngleich die PCR bei Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose keine hohe Sensitivität zeigt, so ist sie doch erwiesenermaßen ein wertvolles Instrument.
Zahlreiche Wissenschaftler berichteten über ihre Nützlichkeit zum Nachweis der Persistenz von B. burgdorferi bei Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose, die trotz antibiotischer Therapie weiterhin Symptome aufweisen.16-18,24 Da den Autoren kein einziges Mal nachzuweisen gelang, was andere Wissenschaftler immer wieder nachgewiesen haben, muss die Genauigkeit ihrer PCR-Methode angezweifelt werden. Vielleicht hätten die Autoren durch eine überlegte Evaluation die Genauigkeit ihres PCR-Nachweises durch eine zusätzliche Gewebs-PCR verbessern können. Es gibt Beispiele dafür, dass diese der PCR von Flüssigkeiten überlegen sein kann.18 Die Erklärung der Autoren, ihre Ergebnisse bestätigten, dass es keinen Nachweis für eine aktive Infektion bei dem untersuchten klinischen Syndrom gibt, ist offenkundig falsch, denn es gibt reichlich Beweise für die weiterbestehende Infektion mit B. burgdorferi bei chronischer Lyme-Borreliose.16-26 Die Autoren ignorieren die bereits gesammelte Fülle an Daten zu diesem Thema, was in direktem Widerspruch zu ihren Schlussfolgerungen steht. Unserer Meinung nach könnte dies eine tendenziöse Auslegung ihrer Ergebnisse widerspiegeln.

Eine weitere Schwierigkeit bezüglich der Selektionskriterien für diese Studie besteht in den vorangegangenen antibiotischen Therapien der Studienteilnehmer. Handelte es sich wirklich um eine Studie zur antibiotischen Langzeittherapie, wäre es sinnfällig gewesen, Patienten zu untersuchen, bei denen eine Kurzzeittherapie mit demselben Antibiotikum keinen Behandlungserfolg erbracht hatte, denn dann hätte ein Vergleich zwischen der Wirksamkeit kurzzeitiger und längerfristiger antibiotischer Behandlung angestellt werden können. Da diese Studie jedoch in Wirklichkeit nur eine Studie zur kurzzeitigen Wiederbehandlung mit Ceftriaxon ist, fällt sie einem offensichtlichen Selektions-Bias zum Opfer: Bei vielen der Studienteilnehmer war zuvor schon ein Behandlungserfolg nach einer kurzzeitigen Ceftriaxon-Therapie ausgeblieben, was die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass dies erneut der Fall sein würde.

Des weiteren scheint die Randomisierung in dieser Studie unzulänglich gewesen zu sein. Bransfield et al. konstatieren: „Bei Studieneintritt scheinen die Placebo- und Antibiotikagruppen signifikant unterschiedliche Punktwerte bei der Eingangsbewertung aufzuweisen. Dies lässt vermuten, dass die Randomisierung unzureichend gewesen sein könnte, was die Studienergebnisse entwerten würde.“31 Weinstein und Klempner antworten: „Das Randomisierungsprotokoll war angemessen, da in den Placebo- und Antibiotikagruppen die Punktwerte in der Eingangsbewertung bei allen Patienten statistisch äquivalent waren.“32 Die Daten, die in ihrem Artikel veröffentlicht wurden, stehen allerdings in direktem Widerspruch zu dieser Behauptung. In ihrer Arbeit berichten sie über eine Reihe signifikanter Unterschiede vor dem Test zwischen den Placebo- und Antibiotikagruppen, sowohl der seropositiven als auch der seronegativen Gruppen. Weinstein und Klempner erklären des weiteren: „Darüber hinaus diente jeder Patient sich selbst als Kontrolle, da das klinische Ansprechen anhand der berechneten Veränderung des Gesundheitszustandes jedes einzelnen Patienten gemessen wurde.“32 Dieses Argument ist nicht sehr überzeugend, solange die Unterschiede vor dem Test, von denen in der Veröffentlichung die Rede ist, nicht untersucht werden. Anstatt die Patienten kategorisch einzuteilen, hätte man unserer Ansicht nach sensitivere Verfahren wie die Kovarianzanalyse anwenden können.

Ein weiteres Problem dieser Studie wird offensichtlich, wenn man die Darstellung der Daten und die anschließende Analyse betrachtet. Ein Datenbericht sollte standardgemäß nichts anderes als die Darstellung von Daten sein. Anstatt die Studienteilnehmer, die aus der Studie ausschieden, angemessenerweise als „aus der Studie ausgeschieden“ zu erfassen und ihre Daten nicht in die statistische Analyse aufzunehmen, wurden diese Patienten von den Autoren in der Kategorie „Verschlechte
ung des klinischen Zustands“ geführt. Da es aber unzählige Gründe dafür geben kann, warum ein Studienteilnehmer ausscheidet, ist es unangemessen, die Daten in solch einer Weise zu reformatieren, zumal bei der Mehrheit der Studienabbrecher in der Datenerfassung keine Unterscheidung getroffen wurde, ob sie Antibiotika oder Placebos erhalten hatten.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass in dem Artikel einige bemerkenswerte objektive wissenschaftliche Befunde genannt werden, über die lakonisch, ohne jegliche Diskussion, berichtet wird. Beispielsweise finden Klempner et al. heraus, dass über 25 % der Studienteilnehmer erhöhte Proteinwerte im Liquor und 8 Patienten eine fortgesetzte intrathekale B. burgdorferi-Antikörperproduktion aufwiesen. Bei Patienten mit einer gut dokumentierten Lyme-Borreliose und derartigen Liquorbefunden können diese klinischen Parameter mit einer aktiven Neuroborreliose in Zusammenhang stehen. Im Diskussionsabschnitt des Artikels wurde dies jedoch übergangen.

Stattdessen konzentrieren sich die Autoren lieber auf Messungen, deren Nützlichkeit für die Beurteilung der chronischen Lyme-Borreliose fraglich ist. Bransfield et al. kritisierten die Autoren in diesem Punkt: „Die neuropsychologischen Bewertungsskalen, die in dieser Studie angewandt wurden, waren zur Beurteilung der Beeinträchtigung von körperlicher Funktionsfähigkeit und psychischem Wohlbefinden, wie sie bei Patienten mit persistierender Lyme-Borreliose zu finden sind, unzulänglich. Der SF-36 ist eine subjektive Beurteilungsskala, die auf der Meinung der Patienten basiert. Es gab nur wenige objektive Messparameter, um den Gesundheitszustand der Patienten festzustellen.“31 Weinstein und Klempner antworteten, dass den Studienteilnehmern „ein umfangreiches Arsenal neurokognitver Tests zusätzlich zum SF-36 zur Verfügung stand“ und „eine in Kürze erscheinende Analyse dieser Daten hinreichend sein müsste, um jedwede kognitive Beeinträchtigung, so es sie gibt, aufzuzeigen.“32

Die Frage, die sich naturgemäß daraus ergibt, ist, weshalb dieses „umfangreiche Arsenal“ neurokognitiver Tests nicht in dem Artikel aufgeführt ist. Denn dieses wäre angemessener für die serielle Analyse neurokognitiver Dysfunktion während einer antibiotischen Behandlung gewesen. So muss man sich fragen, welche anderen während der Studie gesammelten Daten ebenfalls nicht in dem Artikel genannt werden. Beispielsweise deutete Klempner öffentlich an, dass bei den Studienteilnehmern ein Test auf Matrix-Metalloproteinasen im Liquor durchgeführt werden sollte,33 doch auch hierüber fand sich nichts in der Veröffentlichung. Da es von Klempner frühere Veröffentlichungen über das Vorhandensein dieser Marker bei aktiver Neuroborreliose sowohl in vitro34 als auch in vivo35 gibt, sollte man meinen, dass er diese wichtigen objektiven Parameter in der Studie berücksichtigt. Dadurch hätte man zusätzlichen Aufschluss über den Status der Patienten hinsichtlich des Vorhandenseins oder Fehlens einer aktiven Neuroborreliose erhalten und somit die Studie erheblich aufwerten können.

Ein anderes Problem mit der Datenanalyse ist, dass die Jarisch-Herxheimer-Reaktion nicht berücksichtigt wurde. Es ist allgemein bekannt, dass es bei Borreliosepatienten zu Beginn einer antibiotischen Behandlung zu einer deutlichen Symptomverschlimmerung kommt. Dies wurde in der Studie nicht evaluiert. Unserer Ansicht nach ist dies ein ernsthaftes Versehen, denn Beurteilungen von zeitweiligen Änderungen im Gesundheitsstatus der Patienten konnten ohne Verständnis für dieses Phänomen nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden. Allgemeiner ausgedrückt finden wir das Fehlen der Diskussion dieser Reaktion in einer Veröffentlichung, die die Lyme-Borreliose zum Thema hat, Besorgnis erregend. Möglicherweise ist darin eine Fehleinschätzung der Ätiologie der chronischen Lyme-Borreliose zu sehen.

Ferner wurde kein eingehender Überblick über die Borrelien-Mikrobiologie gegeben. Wir meinen, dass derlei Information von wesentlicher Bedeutung für die Untermauerung der Erforschung der chronischen Lyme-Borreliose gewesen wäre. Beispielsweise wird das Bakterium B. burgdorferi oftmals beschrieben als gram-negativ, microaerophil, spiralförmig und 9 bis 32 Mikron messend, doch diese enge Definition des Erregers kann logischerweise keine Erklärung für seine Überlebensfähigkeit in so unterschiedlichen Milieus wie in Säugetieren einerseits und Zecken andererseits liefern. Wäre die Spiralform die einzige Gestalt, in der das Bakterium existieren könnte, müssten die relativ großen Borrelien leicht in Blutausstrichen von Borreliosepatienten und in für den Erreger empfänglichen, infizierten tierischen Wirten zu finden sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. In logischem Zusammenhang damit ist zu sehen, dass Zecken, die an infizierten Wirten saugen, anschließend zu einem hohen Prozentsatz mit Borrelien infiziert sind, und man trotzdem B. burgdorferi nicht routinemäßig aus deren Blut mit den dafür üblichen Medien anzüchten kann. Eine einleuchtende Erklärung für diese Beobachtung ist, dass B. burgdorferi im Blut infizierter Wirte sehr wohl vorhanden ist, aber nicht in der bekannten Spiralform. Daraus ergibt sich logischerweise auch, dass die von der archetypischen Spiralform abweichenden Formen des Bakteriums nicht nur ein anderes äußeres Erscheinungsbild haben, sondern auch spezielle Anforderungen bezüglich Nahrung und Milieu für ihr Wachstum stellen.

B. burgdorferi kann tatsächlich in verschiedenen Formvarianten vorkommen, die sich ultrastrukturell und metabolisch voneinander unterscheiden. Selbst in Zecken kommen morphologisch veränderte Formen von B. burgdorferi vor,36 doch der Selektionsdruck in Säugetieren, dem der Erreger nach der Immunabwehr ausgesetzt ist, bewirkt, dass diese veränderten Formen erheblich häufiger auftreten. Diese an den Wirt angepassten Formen, die man unter dem Oberbegriff L-Formen oder Sphäroblasten zusammenfasst, besitzen in der Regel keine (richtige) Zellwand. B. burgdorferi-Sphäroblasten, zu denen auch die Subtypen der zystischen Formen und Granula gehören, wurden vielfach sowohl in vitro37-46 als auch in vivo dokumentiert, und zwar extrazellulär wie auch intrazellulär40,47-51. Darüber hinaus wurde ihre Fähigkeit, unter entsprechenden Bedingungen von einer an den Wirt angepassten Form in ihre Spiralform zurückzukehren, hinlänglich in vitro dokumentiert.40,52,53

Für nicht Fachkundige liegt vielleicht die Schlussfolgerung nahe, zystische Formen von B. burgdorferi seien lediglich degenerative Formen des Erregers, die durch Mangelzustände hervorgerufen werden. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, denn die Synthese von Proteinen ist für die Umwandlung in Sphäroblasten notwendig.37 Es wurde sogar eindeutig nachgewiesen, dass die zystischen Formen von B. burgdorferi virulent und infektiös sind. Die Infektiosität der zystischen Formen von B. burgdorferi, ihr Überleben unter extremen äußeren Bedingungen und ihre Fähigkeit, sich in vivo zu Spiralformen zurückzuverwandeln, wurde aufgezeigt durch die Impfung von Mäusen mit zystischen Borrelien und der anschließenden Gewinnung spiralförmiger Borrelien aus den Tieren.54 An den Wirt angepasste Formen von B. burgdorferi werden als wesentlich für den chronischen und rezidivierenden Verlauf der Erkrankung angesehen.55,56,59

Ebenso wie der Stoffwechsel von Borrelien-Sphäroblasten andere Anforderungen für das Wachstum stellt, ist auch die Empfindlichkeit gegen Antibiotika eine andere. Es werden andere Oberflächenproteine exprimiert und die Oberflächenbezirke, die von der Immunabwehr erkannt werden, sind drastisch verkleinert. Im Vergleich zur Spiralform können eine Vielzahl möglicher Probleme bei der PCR-Analyse auftreten. Alles oben Erwähnte ist auch geeignet, die Beobachtungen von Antibiotikaresistenz, Seronegativität und häufiger negativer PCR-Befunde bei aktiver Erkrankung zu erklären.44,48,53,57,58

Unserer Ansicht nach ist das Versäumnis, sich des komplexen Lebenszyklus von B. burgdorferi anzunehmen, der vielleicht verhängnisvollste Fehler in der vorliegenden Arbeit von Klempner et al. So illustriert beispielsweise die Empfindlichkeit zystischer Formen für Metronidazol - im Gegensatz zu den Spiralformen -, dass Borrelien-Sphäroblasten eine veränderte antibiotische Resistenz aufweisen.59 Hätte man bedacht, dass diese Borrelien-Sphäroblasten keine Zellwand besitzen, so hätte dies schon im anfänglichen Studienentwurf dazu führen können, Cephalosporine, die ja auf die Zellwand einwirken, als nicht ideale antibiotische Wirksubstanzen zur Behandlung der späten Stadien der Lyme-Borreliose auszuschließen.

Hätten die Autoren außerdem die vorwiegend intrazelluläre Lage von B. burgdorferi beachtet, hätte auch dies ihre Entscheidung über die Verwendung eines Cephalosporins beeinflusst, denn diese Antibiotikaklasse vermag nicht in Zellen einzudringen. B. burgdorferi wurde in einer Vielzahl von Zelltypen nachgewiesen, unter anderem in Endothelzellen60, Fibroblasten61, Lymphozyten62, Makrophagen und Keratinozyten44,63 sowie in Synovialzellen48,64. Diese Erkenntnisse sind von entscheidender Bedeutung, da chronische Infektionen in hohem Maße von einem intrazellulären Rückzugsort abhängig sind, um fortbestehen zu können. Die intrazelluläre Lage in einer Vielzahl eukaryontischer Zellen schützt B. burgdorferi vor der Zerstörung durch Antibiotika.65,66 Klempner selbst ist Autor eines Artikels, in dem über den Schutz von B. burgdorferi durch Fibroblasten bei Konzentrationen von Ceftriaxon in vitro berichtet wird, die in vivo zur Behandlung der Lyme-Borreliose eingesetzt werden.65 Daher überrascht es besonders, dass er dem Einsatz von Ceftriaxon in dieser Studie zustimmte.

Ein weiteres wesentliches Versehen in dieser Studie ist, dass die Autoren in ihrem Artikel den Co-Infektionen, die bei Borreliosepatienten häufig vorkommen, keine Rechnung tragen. Neben B. burgdorferi übertragen Ixodes-Zecken noch andere Krankheitserreger, die der klinisch tätige Arzt kennen muss, denn ein Patient kann mit mehr als einem Erreger infiziert worden sein. Ein Beispiel für eine klinisch relevante Co-Infektion ist die Babesiose. Wie es bei den meisten durch Zecken übertragenen Erkrankungen der Fall ist, gehört zum klinischen Spektrum auch eine subklinische Infektion. Die Häufigkeit asymptomatischer Infektionen mit Babesia microti liegt in außerstädtischen Gebieten im Staat New York bei immerhin 6 %.67 Am anderen Ende des klinischen Spektrums kann die Symptomatik von Babesieninfektionen Fieber, Nachtschweiß, Müdigkeit, Myalgien, mikrozytäre Anämie mit intravasaler Hämolyse, Thrombozytopenie und Niereninsuffizienz umfassen.68,69 Leider wird diese Erkrankung bei allen Altersgruppen unterdiagnostiziert.70 Bei splenektomierten oder anderweitig immunsupprimierten Patienten kann eine Babesiose lebensbedrohlich sein.

In einigen Studien wurde nachgewiesen, dass Patienten, die mit B. burgdorferi und B. microti co-infiziert sind, ein schwereres klinisches Krankheitsbild aufweisen, und dass derlei Co-Infektionen bei annähernd 10 % der Borreliosepatienten auftreten.71 Eine Co-Infektion mit B. burgdorferi und B. microti kann sogar tödlich verlaufen.72,73 Bemerkenswerterweise wurde diese Co-Infektion in dem Artikel nicht erwähnt, trotz der durch die Studie dokumentierten Schwere der Erkrankung der teilnehmenden Borreliosepatienten. Weder mit Ceftriaxon noch mit Doxycyclin kann eine Babesiose wirksam behandelt werden. Neben der Babesiose gibt es noch eine Reihe anderer durch Zecken übertragener Erkrankungen, für die Borreliosepatienten einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, und die ebenfalls keine Erwähnung fanden. Abgesehen von Infektionen mit Erregern, die keine Spirochäten sind, und auf die man untersuchen kann, gibt es auch durch Zecken übertragene Infektionen mit anderen Spirochäten, für die es kein allgemein erhältliches Testsystem gibt.74,75,76 Auch diese hätten in der Veröffentlichung genannt werden sollen, da nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß sie krankheitsauslösend sind oder in welchem Maß sie auf eine antibiotische Therapie ansprechen.

Schlussfolgerung
Unserer Meinung nach fällt der Artikel von Klempner et al. zu der von den National Institutes of Health in Auftrag gegebenen Studie einer Reihe miteinander zusammenhängender Irrtümer zum Opfer. Die Studie verfehlt von vornherein ihr Ziel, eine Langzeit-, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Antibiotikatherapie-Studie für Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose zu sein, aus dem einfachen Grund, weil sie keine langfristige Antibiotikatherapiestudie ist. Nach solch einem unheilvollen Start sind viele nachfolgende Aspekte der Arbeit in gleicher Weise mit einem Makel behaftet: angefangen bei den Auswahlkriterien für die Teilnahme über die suboptimale antibiotische Behandlung, die Vernachlässigung der Borrelien-Mikrobiologie, die falsch dargestellte und fehlerhafte Datenanalyse bis hin zum Fehlen des kompletten Datensatzes. Die amerikanische Öffentlichkeit hat diese Forschungsarbeit finanziert und die Erhebung signifikanter Daten ermöglicht. Diese Daten, die möglicherweise dazu beigetragen hätten, viele Aspekte der Erkrankung zu beschreiben, wurden jedoch in der Veröffentlichung der Studienergebnisse nicht vollständig dargestellt. Die Öffentlichkeit muss über alle Labordaten, die von Klempner et al. erhoben wurden, informiert werden.

Da diese Studie auf so vielen Irrtümern fußt, glauben wir nicht, dass sie irgendwelche validen wissenschaftlichen Ergebnisse repräsentiert. Wir glauben, dass die Arbeit von Klempner et al. im Gegenteil sogar Schaden anrichten kann, weil viele im medizinischen Bereich Tätige nicht die Fachkenntnisse besitzen, mangelhafte Arbeiten wie diese kritisch zu hinterfragen. Sie ziehen möglicherweise unangemessene Schlüsse aus den von den Autoren aufgestellten Behauptungen und verweigern zu Unrecht ihren Patienten mit persistierender Lyme-Borreliose die Behandlung. Dies wäre besonders Besorgnis erregend, da in anderen begutachteten medizinischen Forschungsberichten nachgewiesen wird, dass eine verlängerte antibiotische Therapie genau diesen Patienten im Spätstadium der Lyme-Borreliose hilft.77-79

Die Schlussfolgerung aus den obigen Ausführungen ist, dass dieser Artikel unseres Erachtens formell zurückgezogen werden sollte.